Hautfreundin von Doris Anselm

Veröffentlicht: 12. November 2019 von Juliane

Hautfreundin
Doris Anselm
Biografie
Luchterhand Verlag
Mai 2019
Hardcover
255
… den Verlag!

Vom Verlag: Gibt es noch schmutzige Worte? Hilft fesseln gegen Traurigkeit? Besitzt ein Mann mit einer schönen Stimme auch eine schöne Zungenspitze? Kann man zu zärtlich sein, wenn man bloß eine Affäre hat? Und gedeiht im Unanständigen vielleicht ein besonderer Anstand? – Sie ist eine Frau, die Sex mag und seltsame Fragen, ihre eigene Haut und die Haut ganz verschiedener Männer. Direkte Berührung ebenso wie den Salto ins Fantastische. Sie flirtet lieber unterwegs als online, weil sie den kleinen Rausch des ersten Schritts liebt. Ihr Blick auf Sex ist zugleich lustvoll und schräg, präzise und sanft. Die Männer, denen sie nah kommt, gehen ihr nah. Aber worauf steht sie eigentlich selbst? Und wie hat das angefangen? Nach und nach ergeben die Geschichten ihrer hautnahen Begegnungen eine Geschichte: die überraschend glückliche sexuelle Biografie einer freien Frau. So sinnlich erzählt, dass die Sprache selbst Feuer fängt. 

Meine Meinung:

Wenn man sich das Cover des Buches ansieht und genau auf sich wirken lässt, bekommt einen guten Eindruck davon, was einen in dieser sexuellen Biografie erwartet. Es ist ruhig wie die Farben auf dem Cover. Sanft in den Verläufen. Intensiv in der Momentaufnahme. Beruhigend und gleichzeitig anregend. Es wirft mehr Fragen auf, als das es beantwortet. Es ist vielschichtig. Es ist die Sicht einer Frau. Es ist erotisch und es ist offen. Es ist flatterhaft und gleichzeitig monoton. Es ist die Biografie einer Frau, die ihre Sexualität austestet, auslebt und ausspricht.

Was mich genau erwarten würde, wusste ich nicht. Ich dachte an intime Szenen, an Beschreibungen von Wünschen, Gedanken und ein Leben einer Person. Dann beginnt diese Biografie mit einem Kühlschrank und einer Begegnung zweier Menschen. Unser Erzählerin und einen Fremden. Ich weiß nicht wie, aber Doris Anselm beschreibt mit wenigen Sätzen im Dialog der beiden, wie sich eine Spannung aufbaut, die selbst der Leser spürt. Wortwahl. Gedanken. Pausen. Alles genauestens komponiert.

Einerseits beschreibt Doris Anselm viele Details sehr bildhaft, nutzt viele Vergleiche. Schafft mit Beschreibungen ein sehr genaues Bild in meinem Kopf. Und dann bleibt dennoch so viel im Verborgenen. Wer ist diese Frau? Was macht sie? Wie lebt sie? Wir bekommen nur Ausschnitte aus dem Leben. Es ist ein Vor- und Zurückspulen zu sexuellen Begegnungen. Wie kamen sie Zustande, was bedeuteten sie für die Protagonistin? Was geschah.

Ich genoss es, das Buch zu lesen. Ich mochte die Erzählweise sehr gern. Es ist ruhig, angenehm. Die intimen Szenen werden sehr genau beschrieben, ohne unkreativ oder plump zu wirken – viele Autoren erotischer Werke sollten sich dieses Buch unbedingt mal durchlesen. Mir gefiel es, dass sie (die Autorin & somit die Protagonistin) auch mal ausprobierten, ohne Grenzen zu überschreiten, die mir als Leser unbehaglich gewesen wären. Es gibt viel Abwechslung, bezogen auf Ort und Partner. Auf die Art, wie sie zueinander finden. Es ist unheimlich kreativ und gleichzeitig wirkte es auf mich auch manchmal etwas flatterhaft.

Zu Beginn fühlte ich mich der Frau sehr nah. Ihre Kapitel und somit die zusammentreffen hatten Verbindungen. Sie bezogen sich aufeinander. Doch das stoppte als sie älter wurde. Es wurde mir zu abgehakt, ich verlor die Verbindung und fand sie erst im letzten Kapitel wieder. Seltsamerweise fehlten mir Gefühle, obwohl diese eigentlich sehr genau beschrieben wurden. Vielleicht war es der Aspekt, dass sie durchweg ihre körperliche Reaktion auf Männer beschrieb, aber nie ihre Gefühle im Sinne von Liebe, Zuneigung, Reue, Vertrauen.

Das Buch hat eine unglaublich starke Atmosphäre, die mich wirklich beeindruckt hat. Es ist ein Buch, dass man allein genießen sollte. In einer ruhigen Minute, wenn man Zeit hat, die Szenen auf einen wirken zu lassen und seine Gedanken dazu freien Lauf zu lassen. Denn obwohl es hauptsächlich um die intime Zusammenkunft von Frau und Mann geht, wirft die Protagonistin viele Fragen auf, wie wir in der heutigen Welt mit der Sexualität umgehen. Wie sprechen wir über unser Liebesleben, über Probleme und Wünsche?


Fazit:

Doris Anselm hat mit “Hautfreundin” einen atmosphärischen, sanften und gleichzeitig sehr intensiven Roman geschrieben. Mir gefiel ihre bildhafte Sprache, ihre Vergleiche und ihre Beschreibungen von Gefühlen ausgesprochen gut. Wort für Wort, Satz für Satz entsteht ein Bild einer selbstbestimmten und offenen Frau, die Tabus hinterfragt und ihre eigenen Wünsche ausspricht und auslebt. Wo die ersten Kapitel ineinander verwoben waren, fühlte sich der letzte Teil sehr eigenständig an, was mich zunächst etwas irritierte. Insgesamt ist es eine sehr gelungene fiktive Biografie, die sehr anregend und gleichzeitig streichelnd sanft ist. Empfehlenswert für einen verregneten Sonntagnachmittag.


Interview:

Im Rahmen der Frankfurter Buchmesse durfte ich mit Doris Anselm ein Interview führen. Sie ist nahbar, sympathisch und wir kamen schnell ins Gespräch. Sie erzählte, dass sie den Roman geschrieben hat, weil sie eine starke Protagonistin erschaffen wollte. Sie wollte Sexszenen schreiben, die nicht plump oder rein technisch sind. Pornografie ist ein Stempel, der ok für sie ist. Denn sie möchte dass der Begriff wieder positiver behaftet wird. Die Sicht und die Sprache des Sexuellen soll freier, schöner und besser werden.

Zu oft sprechen Menschen nicht offen über Sex, sonder klären eher die “Hard Facts”. Zu viele Romane zeigen Sex gar nicht, sondern deuten nur an – oder sie bleiben auf einer sachlichen, technischen Ebene. Sie wünscht sich, dass Sex auch als Beschreibung für eine Beziehung zweier Menschen benutzt wird. Autoren bedienen sich an vielen Szenen und Situationen um das Verhältnis und die Gefühle zweier Menschen zueinander darzustellen – doch sobald es erotisch wird, ist dort nur das Körperliche.

Ihr Roman ist nicht nach einem klassischen Plot geschrieben. Es gibt kein typisches Happy End. Das ist bewusst und gewollt. Kapitel zeigen Ausschnitte und so manch harte Cut is Absicht. Ihr zeigt eine Seite von Sex, gern würde sie mehr solcher sexuellen Berichte lesen – Queerness, Vielfalt. All das ist etwas, dass es zu wenig in der Literaturwelt gibt. Ich fragte nach ihren persönlichen Favoriten und empfohlen hat sie mir:

https://www.genialokal.de/Produkt/Alan-Hollinghurst/Die-Schwimmbad-Bibliothek_lid_28309176.html

https://www.genialokal.de/Produkt/Marguerite-Duras/Der-Liebhaber_lid_27915077.html

Herzlichen Dank an Doris Anselm für das tolle Gespräch!


Vielen Dank…

… an den Luchterhand Verlag für mein Rezensionsexemplar und die Möglichkeit, die Autorin persönlich zu treffen und meine Fragen zu stellen.


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2 Kommentare

  • Nora 20. November 2019 at 9:47

    Wow! Das ist ja mal ein spannendes Buch – mal was ganz anderes! Du hast mich sehr neugierig gemacht. Klar, ich kann dir erst sagen, ob es mich stört, wenn ich es gelesen habe. Aber ich finde es beeindruckend, wenn eine Frau über Sex einfach schreibt, ohne auf Gefühle einzugehen, weil die für sie nicht wichtig sind. Das macht diese Biografie für mich nur noch interessanter 🙂 Viele Grüße, Nora

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    • Juliane 24. November 2019 at 11:27

      Vielen Dank für deinen Kommentar!
      Ich wünsche dir viel Spaß mit dem Buch, falls du es lesen wirst 🙂

      Liebe Grüße
      Juliane

      Reply

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