[Rezension] Die Gabe von Naomi Alderman

Veröffentlicht: 4. April 2018 von Juliane

Die Gabe Book Cover
Die Gabe
Naomi Alderman
Fantasy / Science Fiction
Heyne Verlag
Februar 2018
Taschenbuch
480
The Power
... das Bloggerportal

Mit einem Mal entdecken Mädchen eine Kraft in sich. Über einen Strang unterhalb ihres Schlüsselbeins können sie Elektrizität aufbauen und sie nach außen abgeben.

Die Mädchen wecken diese Fähigkeit ebenso bei erwachsenen Frauen und es dauert nicht lang, bis fast alle Frauen auf der Welt diese Kraft besitzen. Zum ersten Mal sind sie Männern körperlich überlegen.

Präsidenten werden gestürzt, Ehemänner getötet - Frauen lehnen sich auf. Das Machtverhältnis auf der Welt ist durcheinander - was bedeutet das?

Meine Meinung:

An “Die Gabe” hatte ich wirklich richtig hohe Erwartungen. Der Roman wird empfohlen von Personen wie Emma Watson oder Barack Obama – da muss doch was dran sein! Oder? Naja. Das Buch hebt sich auf jeden Fall von der Masse ab. Es regt zum Nachdenken an. Und es provoziert. Es ist für mich allerdings ein Touch too much.

Dazu muss ich sagen, dass ich die Grundidee echt gut finde. Die Umkehrung der Kräfteverhältnisse zwischen Mann und Frau – die Frauen sind den Männern überlegen und was passiert dann? Diese Frage hat so ein großes Potential – und was passiert im Buch? Die Frauen geraten außer Rand und Band, das nicht ohne.

Wir verfolgen verschiedene Personen, die sich teilweise im Laufe der Geschichte auch begegnen. Die Personen sind in verschieden Alter, haben unterschiedlich Lebensumstände und gehen mit der Gabe unterschiedlich um. Leider geraten für mich alle (Tunde ausgenommen, aber ist auch ein Mann 😉 ) ins Extreme. Sie sind mir zu krass und ich hätte mir einen ruhigen Pol in der Geschichte gewünscht.

Margot und Allie mochte ich zu Beginn sehr gern und verfolgte ihre Geschichten mit Interesse. Doch beide schwankten um. Allies Fanatismus geriet außer Kontrolle, was mir nicht gefiel. Und Margot stellte alles über das Wohl ihrer Tochter – es schien als würde ihr Gehirn plötzlich anders ticken. Das irritierte mich und wirkte unauthentisch.

Letztlich sind alle Personen unsympathisch. Das ist nicht wirklich gut für einen Roman, oder? Ja, man muss natürlich abwägen, welche Geschichte der Roman erzählt. Für mich ist es ziemlich klar, dass der Roman aufrütteln will mit aller Macht. Ich nehme an, die Personen sollen gar nicht sympathisch wirken. Damit mehr provoziert wird. Aber warum?

Im Großen und Ganzen hatte ich öfters das Gefühl, dass ich nicht verstehe, worum es gerade geht. Bei diesem Buch wünschte ich mich tatsächlich zurück in die Schule um das in einer Gruppe zu analysieren. Hier gibt es so viele Anspielungen auf Kriege, Umgang mit Medien und Machtausübungen. Sekundärliteratur wäre hier sehr hilfreich (und würde ich sofort kaufen!).

Die Geschichte an sich ist sehr gut aufgebaut. Wir erleben eine Zeitraum von rund 10 Jahren, in dem sich alles sehr zuspitzt. Die Frauen entdecken ihre Gabe, die über einen Strang an ihren Schlüsselbein spürbar wird. Ich war total gefesselt und begeistert. Diese Idee ist einfach richtig gut! Und es wurde so realistisch gesponnen. Denn aus allen Ecken tauchten Wissenschaftler auf und versuchen, das Mysterium der Gabe zu erklären. Teilweise war das richtig witzig!

Mich unterhielt der Roman bis ungefähr zur Mitte sehr gut. Der Schreibstil ist unauffällig und flüssig, die Geschichte nimmt recht zügig ihren Lauf. Doch dann knickt es ein. Ich suchte nach dem roten Faden, nach dem Höhepunkt, auf den die Geschichte hinarbeitet. In meinem Kopf hatte ich die wildesten Ideen (ja, es stimmte keine..).

Leider schlug an dem Punkt meine Begeisterung in Ernüchterung um. Die Frauen gerieten mehr und mehr an die Macht – alles gerät aus den Fugen. Und hier muss ich wieder meckern und warnen.. denn es gibt mehr als einmal Vergewaltigungen, die auch relativ deutlich beschrieben sind. Muss das sein? Die Geschichte hätte auch ohne sehr gut funktioniert. Ich bin zu 100 Prozent sicher, dass nicht alle Frauen zu Tieren werden, sobald sie Macht erlangen. Wieso wird es hier so dargestellt? An den Stellen wurde ich fast sauer.

Auch das Ende konnte es nicht retten. Ich hätte es mir runder gewünscht. Wir werden ziemlich abrupt zurück gelassen. Ich musste erstmal tief Luft holen. Zum Glück gab es noch einen Pluspunkt zum Abschluss: Die Geschichte an sich ist mit einer “Meta Geschichte” ummantelt, in der Naomi Alderman nicht die Autorin ist, sonder ein Freund von ihr. Und er schreibt über Männer, die an die Macht gelangen, in einer von Frauen bestimmten Welt. Das zu lesen war Gehirnjogging. Man musste viel um die Ecke denken, was Spaß gemacht hat!


Fazit:

Ist “Die Gabe” ist ein Spiegel der Gesellschaft? Ich habe es erwartet, doch ich bin mir nicht sicher ob ich es bekommen habe. Die ersten Hälfte des Buches war sehr unterhaltsam, schockierend und regte zum Nachdenken an. Allerdings überspitzten sich die Ereignisse im Verlauf der Geschichte, was mir das Interesse an dem Roman raubte. Viele Grenzen wurden überschritten und ich frage mich, ob so viel Provokation nicht zu viel war.


Vielen Dank…

… an das Bloggerportal und den Heyne Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars!


Weitere Rezensionen

9 Kommentare

  • Schnute 4. April 2018 at 14:08

    Ich habs noch nicht gelesen, aber ich bin überzeugt, dass Macht grundsätzlich korrumpiert und man schon ein ausgesprochener Idealist sein muss, um sich davon nicht blenden zu lassen. Dabei ist das Geschlecht meiner Meinung nach völlig unwichtig. Man hört so oft, dass es weniger Kriege gebe, wenn die Frauen an der Macht wären, was mich etwas ärgert, denn dabei gehen wir allein davon aus, wie Frauen über Jahrhunderte hinweg in eine bestimmte Rolle gedrängt wurden mit einem Ideal an gewissen Eigenschaften (Mütterlichkeit, Zärtlichkeit, Geborgenheit und und und) und sich daran nichts ändern würde, wären Frauen schon immer leichberechtigt gewesen. Gleichzeitig ignorieren wir damit Männer wie Ghandi, die völlige Gewaltfreiheit als oberstes Mittel eingesetzt haben. Ich denke, mit Die Gabe könnte Naomi Aldermann da in der Tat aufrütteln, denn Gewalt, Machtausübung und Kontrolle haben nichts mit dem Geschlecht zu tun, wie es so gern unterstellt wird. Aber, dafür werd ich das Buch wohl wahrscheinlich erstmal noch lesen müssen für ein abschließendes Urteil. xD

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    • Juliane 4. April 2018 at 16:08

      Das ist ein sehr guter Punkt! Vielen Dank für den Aspekt! Natürlich hast du total Recht – jedes Ungleichgewicht ist nicht gut, egal ob Frauen oder Männer die Macht haben. Und es ist das Extrem was mich hier ja auch so erschüttert hat. Und mit dieser starken Geschichte hat die Autorin ja auch viel Aufsehen erregt. Mit einer “seichteren” Geschichte hätte sie es vermutlich nicht so weit gebracht.

      Ich kann mir vorstellen, dass dir das Buch gut gefällt 🙂

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      • Schnute 5. April 2018 at 10:09

        Ich werde mich einfach mal überraschen lassen. Ich denke aber, dass die derzeite Frauenbewegung und die damit verbundene uralte Opferrolle gern etwas überromantisiert wird. Wenn man einem Geschlecht exklusiv etwas zuspricht, dann spricht man es dem anderen Geschlecht automatisch ab. Deswegen bin ich immer sehr skeptisch, wenn der Blick auf die Geschlechterrollen sehr verklärt dargestellt wird in Romanen und Filmen. Dabei spricht man beiden Geschlechtern das einfache Menschsein irgendwie ab und das empfinde ich immer sehr unrealistisch. Es gibt keine Charaktereigenschaften, die exklusiv männlich oder weiblich sind. Das ist, so finde ich, auch leider ein Aspekt, der oftmals ignoriert bzw. nicht beachtet wird. Deine Rezension macht mich deswegen extrem neugierig. Grad weil ich mich frage, warum Dir die Figuren unsympathisch waren, also ob es z.B. daran lag, dass man als Leser eine bestimmte Reaktion oder Persönlichkeit erwartet (eben aus althergebrachten Rollendefinitionen heraus) und dann enttäuscht wird, oder ob die Figuren einfach nur nervige Arschlöcher sind. Ich bin wirklich gespannt und Deine Rezension zu dem Buch finde ich allein deswegen klasse :* danke dafür.

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  • Isabella 4. April 2018 at 19:28

    Oh, wow, das klingt echt nach einem aufregenden und aufwühlenden Leseerlebnis – so wirklich schlau, ob ich das Buch lesen möchte oder nicht, bin ich immer noch nicht, aber nach deiner Rezension reizt es mich eher weniger. ?
    Was das Thema unsympathische Charaktere anbetrifft, habe ich zumindest für mich die Erfahrung gemacht, dass ich verstehen muss, warum diese Charaktere unsympathisch sind, und dann kann ich grundsätzlich damit leben. Wenn ich weiß, warum Charakter XY sich total daneben verhält, finde ich das Verhalten meistens zwar nicht weniger gut, kann es aber immerhin nachvollziehen. (Das war auch einer der Aspekte, der mich an der Tuchvilla gestört hat – dass ich keinen Charakter wirklich sympathisch fand, manche gar nicht ausstehen konnte, aber nie wirklich eine Erklärung gekriegt habe, warum die sich so daneben verhalten.) Aber ich denke, das ist letztendlich Geschmackssache.
    Und was das nicht-verstehen anbetrifft, bin ich voll und ganz bei dir – es ist ziemlich frustrierend, wenn man den Eindruck hat, nicht alles vom Buch wirklich mitnehmen zu können. :/
    Schade – die Prämisse klang echt genial!

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    • Juliane 14. April 2018 at 23:11

      Liebe Isabella,

      danke für deinen Kommentar! ♥️

      Die Woche war so stressig, ich kam noch gar nicht zum Antworten… ?

      Leider wurde hier wirklich zu wenig in die Charaktere investiert… klar, wenn man eine gute Erklärung für Handlungen hat, kann es auch durchaus spannend sein.

      Liebe Grüße
      Juliane

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  • Nicci Trallafitti 10. April 2018 at 0:43

    Liebe Juliane,
    deine Rezension macht wirklich Lust auf die Geschichte
    (auch wenn ich nur die ersten und den letzten Abschnitt gelesen habe) 🙂
    Ich bin sehr gespannt auf das Buch, Frauen “außer Rand und Band” klingt irgendwie ziemlich interessant.
    Zum Glück steht es schon bei mir im Regal. Auf die Umsetzung bin ich echt neugierig, hihi.
    Und vor allem das Foto mit den Blitzen gefällt mir total gut!

    Liebe Grüße,
    Nicci

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    • Juliane 14. April 2018 at 23:12

      Liebe Nicci,

      danke ♥️

      Freu mich schon auf deine Rezension zu dem Buch! Die Meinungen gehen echt weit auseinander und ich war ja eher so in der Mitte 😉

      Liebe Grüße
      Juliane

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  • Svenja 19. Oktober 2018 at 12:00

    Liebe Juliane,
    eine sehr gute Rezension, in der ich meine Meinung sich meine Meinung über das Buch wiederspiegelt. Ich habe gerade meine Rezension zum Buch abgetippt und bin immer noch wütend. Ich habe so viel von dieser Geschichte erwartet und war nachher richtig schockiert, wie extrem sie wurde. Meiner Meinung nach verherrlicht der Autor die Herrschaft des Mannes und stellt Frauen als die Bösen dar, die Vergewaltigung, Gewalt und Mord noch mehr ausüben würden, als es der Mann sowieso schon tut. Abgesehen davon, konnte ich dem roten Faden der Geschichte, wie du schon sagst, auch nur selten folgen. Schade!
    Ich verlinke dich gerne in meiner Rezension!
    Liebe Grüße
    Svenja

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    • Juliane 20. Oktober 2018 at 19:38

      Liebe Svenja,

      vielen Dank!

      Du hast absolut Recht. Und ich war auch ziemlich überrascht, dass es auf so viel Begeisterung in der Welt gestoßen ist… das ist doch echt alles zu krass und überspitzt.

      Ich verlinke dich natürlich auch sehr gern!

      Liebe Grüße
      Juliane

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